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Schreiben in Zeiten von Corona

 

Ich bin privilegiert. Ich sitze – seit Jahren schon – abgeschieden in meinem kleinen Homeoffice und denke mir Geschichten aus. Ich muss seit Jahren schon nicht mehr jeden Tag in ein Büro, wo viele Menschen aufeinander hocken und potentiell gefährliche Viren oder auch real gefährliche Stresshormone um sich herum verbreiten, kann einkaufen, wenn es sonst niemand tut, kann entscheiden, an welchen Tagen ich lieber die Sonne genieße oder in einem Café die Seele baumeln lasse und an welchen ich 12 Stunden am Stück arbeite.

 

Ich genieße absolute Freiheit.

 

Theoretisch also könnte ich sagen: Corona-Krise? Verändert für mich überhaupt nichts. Ich gehe sowieso selten zu Veranstaltungen, fahre nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln, schotte mich in aktiven Schreibphasen schon immer gegenüber dem Außen ab, um meinem Innen mehr Raum zu geben. Ich habe nicht einmal mehr kleine Kinder, die mich jetzt mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf von meiner Arbeit abhalten.

 

Es könnte also einfach weitergehen wie bisher.

 

Geht es aber nicht. Und das hat nichts damit zu tun, dass Einkaufen dieser Tage zu einer hässlichen Schlacht um Klopapier, Nudeln und Desinfektionsmittel wird, während der wir jeden Mit-Kunden angstvoll beäugen und streng zur Ordnung rufen, wenn er nicht den geforderten Mindestabstand von 1,5 Metern einhält. Es hat auch nichts damit zu tun, dass liebgewonnene Yogakurse, Treffen mit Freunden und Freundinnen, die so wichtigen Besuche bei alleinlebenden Verwandten jenseits der 80 nun nicht stattfinden können.

 

Oder nur einen Teil.

 

Viel mehr hat es damit zu tun, dass das Virus die zarten Setzlinge infiziert, aus denen – vielleicht – irgendwann Geschichten hätten entstehen wollen. Dass es mit rabiater Wut die ersten grünen Blättchen zerstört, die da gerade durch die Erde stoßen und sich in Richtung Himmel strecken wollten. Wir brauchen dich nicht!, schreit der verstörte Realitätssinn, der sich jetzt darum sorgen muss, dass der Nachschub an Nudeln und Klopapier rechtzeitig in den betreuten Haushalten vorhanden ist. Der Infektionskurven beobachtet und sich fragt, wann es die Nachbarn, Freunde oder die eigene Familie trifft und wie dann damit umzugehen ist. Der stündlich mit Ausgangssperren rechnet, der zahllose Existenzen um sich herum zusammenbrechen sieht.

 

Und das schon fast als normal empfindet.

 

Angesichts der Monströsität dessen, was da draußen passiert, verstummen die Stimmen im Inneren, verblassen die Bilder, die so oft nur aus hauchzarten Traumfäden gesponnen sind, viel zu fragil, um dem Ansturm an Realität standzuhalten.

 

Worüber schreiben, jetzt noch?

 

Natürlich gibt es viel zu sagen in diesen Tagen. Die Kanäle quillen über mit Eilmeldungen und Expertenmeinungen, Warnungen und Dementis, Behördeninfos und Fake News. Darunter mischen sich die Millionen Stimmen derer, die eigentlich nichts zu sagen haben aber doch der Meinung sind, sie müssten jetzt ganz laut schreien. Empörung, Verschwörung, Besserwisserei. Auch ganz viel Besonnenheit und Vernunft, Aufrufe zu Nächstenliebe und Hoffnungsbotschaften.

 

Die vernunftbegabte Autorin sollte sich jetzt zurückziehen, den Lärm da draußen vorüberziehen lassen und stoisch weiter an ihren Geschichten arbeiten. Aber ist sie nicht auch in der Verantwortung, gerade jetzt sehr genau aufzupassen und die Botschaft aufzuspüren, die hinter all den Fakten und Geschehnissen liegt, den tieferliegenden Sinn dessen, was da draußen passiert, zu erfassen? Gibt es einen? Wie viele Menschen glaube, hoffe auch ich, dass diese Krise die Menschheit einen Schritt nach vorne bringen wird. Dass sie dem Planeten hilft. Dass es ein kosmischer Schutzmechanismus ist, der hier greift, gegen den Wahnsinn der zivilisatorischen Ausbeutung, die sich so weit zugespitzt hat, dass die Erde kaum noch atmen kann.

 

Ist es so? Ich wünsche es mir.

 

Irgendwann werden wir es wissen. Ich muss jetzt damit umgehen lernen, dass gesetzte Ziele vielleicht nicht erreicht werden. Dass die nächste Geschichte vielleicht länger auf sich warten lassen wird, als meinem Ehrgeiz lieb ist. Dass jetzt nicht der Moment ist, irgendeines dieser Setzlinge, die noch in der Erde schlummern, ans Licht zu zerren, um in fünf, sechs Monaten der langsam wieder zur Normalität zurückkehrenden Welt vielleicht einen neuen Roman präsentieren zu können. Dass es jetzt an der Zeit ist, wach zu bleiben, zu schauen, was da draußen passiert und zu begreifen, was das für mich, für uns alle bedeutet.

 

Bleibt gesund!

 

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